Meindorder Fähre

Jeder von Ihnen wird schon einmal den alten Kahn, der auf dem Grillplatz stand, gesehen haben. Dieser Kahn hat lange Jahre als Fähre Menschen von einem zum anderen Ufer der Sieg befördert. Es war eine Seilfähre. Einige Kilometer flussaufwärts in Bergheim, können Sie heute noch mit einer solchen Seilfähre fahren. Die Anlagen für die alte Meindorfer Fähre stehen noch. Auf dem Fußballplatz und auch auf der gegenüberliegenden Siegseite stehen rostige dreieckige Metallgestelle, an denen ein starkes Seil über die Sieg gespannt war. Also eigentlich könnte unsere Fähre noch fahren   ......wenn da nicht eine alte, wahre Geschichte wäre.......
Es war am 4. Februar 1948, um 14.00 Uhr am frühen Nachmittag. Peter Kratz, der Meindorfer Fährmann, zog sich seine alte Soldatenjacke fester um den Hals. Es war eisig kalt, der Wind wehte wieder einmal kräftig aus dem Norden. Die Sieg führte an diesem Tag Hochwasser, der Fluss war reißend und gefährlich. Peter hatte an diesem Morgen überlegt den Kahn am Ufer zu lassen, war aber dann doch hinunter zu Sieg gegangen. Es war die Zeit kurz nach dem Weltkrieg, die Leute waren arm, hatten kaum etwas zu essen und froren den Winter hindurch.  In dieser Zeit war es üblich, den Fährmann mit einem Brot, ein paar Eiern oder einem Stück Butter zu bezahlen. Peter hatte Hunger, er dachte daran, dass er  in gut einem Monat  32 Jahre alt werden würde.  Er war ein Mann, der in seinem Leben schon viel Unglück erlebt hatte.  Sein Bruder hatte  ihm, im Alter von 5 Jahren, mit einer Steinschleuder ungewollt ein Auge ausgeschossen. Dann passierte die Sache mit dem Pferd. Seine Eltern, die einen kleinen Wagen und einen alten Militärgaul besaßen, benutzten diesen um Altmaterial zu transportieren. Plötzlich scheute das Pferd, der Wagen schleuderte und Peter geriet mit seinem Bein zwischen Wagen und einen Telegrafenmast. Das Bein war nicht mehr zu retten, Peter bekam ein Holzbein. Für die Feldarbeit war er nicht mehr zu gebrauchen und Soldat wurde er auch nicht. Was blieb war der Beruf des Fährmannes. Das alles ging ihm wieder einmal durch den Kopf, als er mit knurrendem Magen hinunter zu Sieg humpelte.

 

Am Mittag hatte sich der Lehrer Josef Tobolke, mit 20 Jungen der siebten und achten Klasse der Volksschule in Sieglar, auf den Weg zu Sieg gemacht. Sie wollten zur Geißlarer Burg und der übliche Weg dorthin führte über die Meindorfer Fähre. Mit gemischten Gefühlen betrachtete der Lehrer das dunkle Wasser der schnell dahinfließenden Sieg. „Kinder, geht nicht zu dicht ans Ufer, der Fluss ist heute gefährlich“ warnte er die Schüler.  Der Fährmann Peter Kratz brachte die Fähre an das Sieglarer Ufer um seine Passagiere einsteigen zu lassen. Mit ihm waren jetzt 22 Menschen in dem Kahn. Lehrer Tobolke fragte Peter Kratz, ob damit nicht zu viele im Boot seien. Er sah, dass der stark körperbehinderte Fährmann Arbeit hatte, die Fähre in der reißenden Strömung zu beherrschen. Aber Peter Kratz beruhigte ihn. Der Lehrer verteilte die Jungen gleichmäßig auf die beiden Seiten des Bootes. Dann legte die Fähre ab. Über das was nun geschah, gibt es widersprüchliche Berichte. So soll einer der Schüler mit dem Ruf „Da, ein Hecht! “ die anderen Kinder dazu gebracht haben auf die andere Seite des Kahns zu springen, worauf dieser aus dem Gleichgewicht kam. Ein anderer Bericht beschreibt, dass der Kahn in der Strommitte aus der Fahrtrichtung geriet weil der Fährmann die Gewalt über das Steuer verloren hatte. Eine erste schwere Wasserwelle schlug vorne über den Kahn. Der Lehrer rief den Kindern zu, ruhig sitzen zu bleiben. Als dann eine zweite schwere Welle das Heck des Kahns überflutete, kamen die Kinder in Panik. Einige sprangen ins Wasser,  andere wurden von der Sieg mitgerissen. 18 Jungen und der Lehrer retteten sich schwimmend ans Ufer. Als der Lehrer feststellte, dass noch nicht alle Schüler gerettet waren, zog er schnell Hose und Jacke aus und stürzte sich wieder in die Sieg. Er wollte den mit der Strömung kämpfenden Schüler Johann Schmitz retten. Aber er schaffte es nicht, seine Kräfte ließen nach und er versank zusammen mit dem Schüler und ertrank. Anton Hünten, einen zweiten Schüler, hatte die Strömung so schnell mitgerissen, dass er im Wasser untergetaucht nicht mehr zu sehen war. Erst Tage später wurde er tot aufgefunden. Der Fährmann Peter Kratz hatte mit seinem Holzbein keine Chance. Er verlies die Fähre als letzter,  wurde sofort in die Tiefe gerissen und ertrank ebenso.
Vier Menschen holte sich der Fluss an diesem Tag, es gab keinen Fährmann mehr und der Fährbetrieb wurde eingestellt.